Mein Leben auf Twitter–eine Analyse

Von | 17. Dezember 2020

Twitter ist extrem dynamisch, lädt zu Polarisierung ein und ist extrem vielfältig – diese Erkenntnis ist weder besonders neu noch besonders tiefgründig. Und dennoch stehe ich immer wieder vor der Frage, ob ich dazu noch Lust habe. Denn im Gegensatz zu meiner kritischen Bestandaufnahme vor über einem Jahr bin ich inzwischen etwas desillusioniert und auch frustriert.

Ad Hominem-Sprech und andere Entgleisungen

Dazu ein einfaches zum Teil fiktives Beispiel:

Ich plane eine Projekt, in dem auf Basis von AOSP (=AndroidOpenSourceProject) ein “neues” Smartphone-Betriebssystem “gebaut” werden soll. Das Projekt kann aber nicht umgesetzt werden, weil ein Kollege Android aufgrund seiner Google-Herkunft ablehnt. Mein Einwand, dass es sich um ein komplett offenes Projekt handle und der Code nur durch Google-Mitarbeiter erstellt, aber komplett offen sei, interessierte mein Gegenüber nicht!

In der Folge bezeichnete ich diesen Menschen als “OpenSource-Fanatiker”, obwohl es streng genommen des Pudels Kern gar nicht trifft. Besser wäre sicher der Begriff “Big5-Hater” gewesen. Ihn interessierte schlicht das Produkt an sich auf fachlicher Ebene gar nicht. Es ging ihm nur um Ablehnung!

Dies wurde mir im Nachgang als „abfällige Bemerkung auf unterstem BILD-Niveau” angekreidet. Mir ist schon klar, dass Kommunikation mit den Sender und Empfänger ein gar nicht so trivialer Vorgang ist, aber gibt es nicht ein paar Grundnormen, auf denen alles fußt?

Darf ich eine extreme Einstellung nicht als Fanatismus bezeichnen?

Mehr als in der “normalen” Welt habe ich auf Twitter Leute getroffen, die nicht zu einem gesitteten Diskurs in der Lage sind – wohlgemerkt in der Gruppe derer, die ihn eigentlich beherrschen müssten/sollten. Das macht mich nachdenklich!

Vom Lehrer zur Marke

Ich treffe auf Twitter auch Leute, die ihre eigene Agenda haben. Dass nicht alles fachlich-sachlich immer einwandfrei sein kann, ist klar. An diesem Anspruch bin ich selbst oft genug gescheitert. Aber es gibt – in meiner Wahrnehmung immer mehr – Leute, denen Followerzahlen wichtiger zu sein scheinen, als ein gewisser Anspruch. Das an sich ist völlig legitim und im Bereich YouTube vielleicht sogar der Normalzustand. Aber im Edu-Bereich (dessen Community sich zahlenmäßig ohnehin als sehr begrenzt darstellt) bin ich nicht bereit, diesen Trend mitzugehen. Das beginnt bei NonMention-Geschichten und endet im bewussten Diskreditieren eines Anderen, ohne einen vernünftigen sachorientierten Diskus zu betreiben.

Die Extremisten und Spalter

Was mich schon im April 2019 extrem gestört hat, hat sich in meiner Wahrnehmung nicht zum Positiven entwickelt:

Leute, die

  • Datenschutz ohne Kompromisse wollen gegen solche, denen er egal ist
  • mebis gegen Teams ausspielen wollen
  • die Big5 hassen gegen solche, die als Lobbyisten arbeiten
  • FOSS als die Lösung aller (Software-)Probleme ansehen gegen die, die alles proprietär einkaufen wollen
  • Apple super finden gegen die Surface-Jünger
  • bestimmte “Apps” (keine PWAs…) präferieren gegen solche, die alles systemunabhängig im Browser haben wollen.
  • BibBlueButton immer besser finden gegen Zoom-Fans

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Dabei stört mich nicht die Unterschiedlichkeit der Positionen, sondern in welcher Form diese vertreten werden. Wenn jemand prinzipiell die Big5 ablehnt, ist er für mich kein geeigneter Diskussionspartner, weil er eine extremistische Position vertritt und gegen einen Grundsatz verstößt, den ich hier auf Twitter gelernt habe und für den ich immer wieder dankbar bin:

Wenn man in einer Diskussion von vornherein ausschließt, dass mein Gegenüber auch Recht haben könnte, macht die Diskussion keinen Sinn.

Das Gleiche gilt natürlich umgekehrt! Man muss sich eben nicht zwischen FOSS und MSFT entscheiden. Es geht auch zusammen. Man muss sich eben nicht zwischen Datenschutz und Internet entscheiden. Es gibt da auch andere Ansätze. Man muss sich nicht zwischen MacOS, Windows und Linux entscheiden. Es gibt auch ein Nebeneinander und für jedes OS eine Existenzberechtigung. Oder jüngst: mebis und Teams bilden zusammen ein nahezu unschlagbares Gespann. Man muss sich nicht zugunsten eines Angebots entscheiden!
Was soll diese nahezu omnipräsente Schwarzweiß-Malerei?

Mag sein, dass diese Tendenzen auch durch so manchen bekannten (und zum Teil bereits abgewählten) Politiker befördert wurden, aber das macht es nicht besser.

Ausblick

Ich bin für extreme Positionen einfach nicht zu haben und kann sie auch nicht ertragen. Und so stehe ich vor dem Problem, entscheiden zu müssen, wie es weitergehen soll. Konsequenterweise werde ich mich nicht komplett aus Twitter zurückziehen (weil ich dort einfach sehr viele unglaubliche kompetente, nette, selbstironische, humorvolle, geistreiche … Leute kennengelernt habe), aber andererseits liebäugle ich mit der Aussage eines  geschätzten Kollegen:

Auf Twitter lese ich größtenteils nur noch mit, weil in vielen Dingen einfach alles gesagt ist und ich meine Zeit nicht mit Leuten verschwenden möchte, denen es nur um sich geht!

Also werde ich weder den „Twitterdienst“ quittieren, noch einfach „so weiterzumachen“, sondern künftig passiver das Geschehen verfolgen, um die Twitter-Life-Balance etwas besser kontrollieren zu können.

Ein Gedanke zu „Mein Leben auf Twitter–eine Analyse

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