Warum mebis nicht zum Bashing taugt–ein Erklärungsversuch

Von | 16. Dezember 2020

Wenn ich mir ansehe, in welcher Form in diesen für alle extremen Zeiten das bayerische mebis-Angebot kritisiert wird, dann muss ich zugeben – als jemand, der in grauer Vorzeit mal mit der (Software-)Entwicklung von mebis zu tun hatte –, dass in mir Wut in einer Art und Weise hochsteigt, die der sachlichen Diskussion nicht förderlich ist.

Ich schreibe diese Zeilen in der Hoffnung, ein wenig mehr Fairness und Verständnis in die Betrachtung von mebis zu bringen und wohlwissend, dass zum einen die gegenwärtige Performance alles andere als optimal ist, zum anderen: dass diese Zeilen das eigentliche Problem nicht lösen werden.

Und dennoch will ich versuchen, ein paar Dinge ins rechte Licht zu rücken, ohne zu sehr in technisches Kauderwelsch zu verfallen.

Und als letzte Vorbemerkung: Ich will mich dadurch nicht von eigenen Fehlern im mebis-Dev-Prozess reinwaschen. Auch ich habe meinen Anteil an der aktuellen Misere durch meine Fehler in der Vergangenheit!

1. Das Problem “des WM-Endspiels 1974”

Am 7. Juli 1974 in der Halbzeitpause des WM-Endspiels im Fußball zwischen Deutschland und Holland in München brach kurzzeitig das Abwasser-/Wassernetz zusammen.

Der Grund damals war ebenso naheliegend wie unvermeidlich: Nahezu jeder verfolgte das Endspiel am TV und viele davon suchten in besagter Halbzeitpause das WC auf. Die Folgen waren beinahe fatal: Das gesamte Leitungsnetz in München erlebte einen Peak, der beinahe zum Kollaps führte. Wahrscheinlich keiner wäre bei einem solchen auf die Idee gekommen, das Netz auf eine entsprechende Kapazität auszubauen – nicht nur, weil ein solch außergewöhnliches Ereignis viel zu selten auftritt, sondern weil es schlicht in einer vernünftigen Zeit nicht umzusetzen gewesen wäre.

Und ganz ähnlich ist die Sache bei mebis gelagert: Keiner – auch nicht der beste Kultusminister – hätte zum einen dieses Jahrhundertereignis Corona vorhersehen können. Und jetzt bei Eintreten ist es schlicht technisch nicht möglich, mebis beliebig zu skalieren (Merken Sie sich den Begriff! Er wird eine zentrale Rolle spielen! Winking smile )

Nur zum Verständnis: Für mebis gab es diverse Lasttests, die bei Konzeption des Projekts auf ein IMHO bis heute völlig realistisches Nutzeraufkommen von etwa 35% der bayerischen Schüler-/Lehrerschaft angelegt war. 100K User gleichzeitig aktiv auf mebis? Das war noch im Januar 2020 eine Marke, die völlig utopisch erschien, bei Konzeption von mebis 2012 undenkbar gewesen wäre. Doch dazu mehr im nächsten Punkt:

2. Die Ausrichtung des mebis-Angebots

mebis war und ist immer als zusätzliches Angebot im Kanon der vielen pädagogischen Tools und Werkzeuge gedacht gewesen. Niemals war das Ziel aller Beteiligten, darüber in auch nur 30% der Schulen gleichzeitig den Unterrichtsalltag abzubilden. Dazu war es nie gedacht! Das hätte es auch niemals leisten können! Dass es das jetzt muss, ändert nichts an der ursprünglichen Ausrichtung! Das kann man uns vorwerfen und es auch kritisieren. Ob das fair ist, ist eine andere Frage.

Wir haben damals auf dem “pädagogischen Spielplatz” Winking smile eine weitere “Schaukel” installiert. Dass darauf jetzt die ganze Spielplatzgesellschaft gleichzeitig schaukeln soll, und das nicht funktioniert, mag unerfreulich sein, überraschend ist es nicht und das jemandem vorzuwerfen: Sorry, das ist unterirdisch!

3. Grenzen der Skalierbarkeit

Ja, mebis wurde hauptsächlich von Lehrerinnen und Lehrern entwickelt… und die gelten zurecht nicht als Profis im Bereich Softwareentwicklung und Infrastruktur. Aber zum einen arbeiteten im Hintergrund (Betriebskonzept, RZ-Betrieb, Entwicklung der Teilangebote…)  in vielfacher Weise sehr wohl Profis (keine Lehrer Winking smile ) und zum anderen möchte ich in dem Zusammenhang kurz einen alten Satz einwerfen, der weder die Lehrer, noch die “Profis” begünstigen, sondern nur zum Denken anregen soll:

Profis haben die Titanic gebaut, Amateure die Arche Noah! Winking smile

Ein kurzes Stichwort (ohne damit auch nur im Entferntesten Whatabouism betreiben zu wollen!!!): ASV Sad smile

Aber um auf den Überpunkt zurückzukommen. Viele Systeme (z.B. Moodle oder das System hinter dem SingleSignOn) sind eben nicht beliebig skalierbar, ohne gravierende Veränderungen am Backbone (=der Serverarchitektur dahinter) vorzunehmen. Oder um es einfach auszudrücken: Wenn man in ein Auto doppelt so viel Sprit füllt, fährt es nicht automatisch doppelt so schnell Winking smile (aber evtl. weiter Winking smile).

Konkret bedeutet das: Die Systeme sind nicht auf diese enormen Nutzeraktivitäten ausgelegt und dazu kommt: Es ist Software – und die hat Fehler, die bei einem solchen Nutzeraufkommen ganz anders und mitunter viel schneller und stärker auffallen oder sich auswirken. Ein ähnliches Phänomen befürchtet man übrigens beim Einsatz des neuartigen Impfstoffs (auch hier wird die gewaltige Masse an “Nutzern” möglicherweise andere Schwächen offenlegen als die überschaubare Menge der Probanten! – hoffen wir mal, NICHT!)

Es ist eben nicht damit getan, ein “paar Server” dazuzuschalten und dann läuft es in größerem Kreise! Und der Kreis ist so gewaltig, dass es eben auch nicht in 8 Monaten komplett umzukrempeln und damit zu lösen ist.

Zum Thema Skalierbarkeit: Eventuell sollte auch der letzte OpenSource-Fanatiker (ich schreibe das bewusst, weil eine nicht unwesentliche Technik genau von einem solchen ohne Rücksicht auf Verluste durchgesetzt wurde!) einsehen, dass es seine Gründe hat, warum die Big5 auf Skalierbarkeit in dem Umfang nahezu ein Monopol haben. Das muss man nicht gut finden, aber es ist die Realität!

Was noch zu sagen bleibt…

Ich könnte noch viele weitere Punkte ausführen, die vor allem notorischen Datenschützern und fragwürdigen Anhängern von “Verbannungsaktionen der Big5 aus der Bildungslandschaft” schwer im Magen liegen dürften, aber an der Sachlage an sich nichts ändern und den Text ausufern lassen würden.

Ich würde mir einfach wünschen, dass sich manch einer, der mebis in diesen Zeiten in die Pfanne haut (aus welchen Gründen auch immer!), mal kurz innehält und sich fragt, wie er es mit der Fairness hält.

Denn eins ist für mich klar: Man kann und muss Verantwortliche kritisieren, wenn Dinge nicht gut laufen (siehe die unsägliche “Distanzunterricht-Kommunikation” der letzten Tage!). Aber man sollte auch nicht vergessen, dass Verantwortung und Fairness in dem Prozess nicht komplett verloren gehen!

Ein großes #THX in dem Kontext für die Blicke von außen an @koehntopp und @derLinkshaender

[Update vom 16.12.2020, 18:20 Uhr]
Mit meinen Ausführungen war lediglich die operative Ebene gemeint. Es war ein Versuch, die Hintergründe für die Probleme ansatzweise zu erklären. Keinesfalls sollen damit zum Teil fatale Fehler in der Kommunikation (z.B. Marke “Im Falle von Distanzunterricht sollen alle bayerischen Schulen mebis nutzen…”) relativiert werden. Mebis war nie ein Kommunikationstool und wird es (hoffentlich!!!) auch nie werden, weil es gegen die Giganten auf dem Markt nie eine Chance hätte. Selbst kleine Player wie Threema Work wären da nur mit großem Aufwand einzuholen. Ich hoffe inständig, dass man sich und uns solche ärgerlichen Baustellen (Stichwort: Dienst-Email für Lehrkräfte!) erspart!

2 Gedanken zu „Warum mebis nicht zum Bashing taugt–ein Erklärungsversuch

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