Der Digitalpakt – oder: Eine Reise ins Ungewisse (Teil 1: #NoGos)

Von | 25. Februar 2019

Zuerst gab es Bayerns Masterplan Digital 2, dann (inkl. Grundgesetzänderung) den Digitalpakt des Bundes. Beides äußerst begrüßenswerte Initiativen auf dem Weg hin zu einer Bildung, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird.

So weit, so gut! Das große Aber darf (leider) nicht ausbleiben.

Denn es steht zu befürchten, dass die Schulen voller Technik gestopft werden, die Frage, was letztlich beim Schüler ankommt, aber unbeantwortet bleibt oder zumindest eine untergeordnete Rolle spielt.

Genau aus diesem Grund habe ich versucht, mich mit der Problematik auseinanderzusetzen und möchte für mich ganz persönlich ein paar Leitlinien definieren, die den Weg zum Gelingen weisen.

Wichtig:

Der Blogpost besteht aus zwei Teilen: Im ersten (diesem hier!) beschreibe ich jene Punkte, die keinesfalls passieren sollten bzw. die es zu verhindern gilt. Im zweiten Teil formuliere ich eine „Wunschliste“ mit Dingen, die in meiner Wahrnehmung wünschenswert wären.

#NoGos und Don’t Do’s

Dass eine Modernisierung von Bildung und den damit verbundenen Prozessen und Institutionen keine Nebenbei-Aufgabe darstellt, muss nicht weiter ausgeführt werden und hat beinahe Floskel-Niveau Winking smile . An dieser Stelle ein großes Dankeschön an Beat Doebeli für seinen Blahfasel-Generator (http://beat.doebe.li/nonsense/ict)

Doch bei allem Schalk: Zahlreiche Gefahrenstellen warten auf den Anwender, eine Menge Untiefen gefährden das Bildungsschiff. Insofern soll an erster Stelle auf jene Punkte eingegangen werden, die keinesfalls passieren sollten.

1. “Wir haben Geld vom Sachaufwandsträger erhalten und haben jetzt Tablets bestellt. Kann mir jemand sagen, was man damit sinnvoll im Unterricht anfangen kann?

Der wohl am häufigsten begangene Fehler liegt in der Art der Herangehensweise: Etwas ist angesagt, wird gehyped und in den Medien gefeiert, also muss es auch an der eigenen Schule umgesetzt werden. An sich ist daran nichts zu kritisieren. Und es wäre völlig deplatziert und auch respektlos, all jenen, die so agieren, Aktionismus oder gar Dilettantismus zu unterstellen. Denn Tatsache ist: Eine Sache zu erproben, diese anschließend zu analysieren und abschließend zu bewerten, ist im Schulalltag nicht vorgesehen. Dazu ein einfaches Beispiel:

In einer Schule möchte eine Lehrkraft eine Tablet-Klasse einrichten. Dazu sucht sie sich Unterstützer im Kollegium und stellt erste Überlegungen zu Unterrichtsszenarien an. Im zweiten Schritt wird mit der Schulleitung die Anschaffung und die Implementierung geplant. Erst im Nachgang stellt sich heraus, dass die WLAN-Infrastruktur nicht entsprechend skaliert und somit ein vernünftiges Arbeiten unmöglich macht.

Die erste unmittelbare Folge dieses Szenarios ist Frust bei allen Beteiligten. Die Lehrer stehen (mitunter) hilflos vor der Klasse und nehmen ihren Aufwand als sinnlos wahr, Schüler sind verunsichert und enttäuscht, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden und Eltern sehen zudem das Vertrauen in die Schule als Ganzes erschüttert.

Mittelfristig wird die Frage nach dem Sinn der Anschaffung gestellt, im schlechtesten Fall das beschaffte Equipment in diversen Abstellräumen vor sich hin siechen.

Das Problem an diesem Szenario: Es gibt keinen, den man tatsächlich verantwortlich machen könnte. Von Schulen kann keiner erwarten, dass sie ohne Erfahrung alle möglichen Problemfelder und Fallstricke frühzeitig erkennen. Von Lehrkräften ist eine technische Abschätzung im Bereich z.B. der Netzwerk-Kapazitäten nicht zu verlangen. Von Bereichen des MDM oder des Software-Deployments ganz zu schweigen.

Dazu ist der Zeitdruck zu berücksichtigen: Bereits seit 2018 können die Mittel aus der bayerischen Initiative abgerufen werden. Eine Schule, die kein Konzept vorlegt, ist nicht antragsberechtigt. Die Fehlinformation, man könne bei Vorliegen eines Medienkonzepts nur eine Förderung beantragen, ist weit verbreitet. (Danke an dieser Stelle an Wolfgang Schlicht (@schlicht_edu) für den Hinweis: Die Realität verlangt „nur“ die Konformität mit dem Votum sowie ein Vorhandensein eines Medienkonzept-Tandems!) Was an sich Sinn macht, könnte sich in diesem Kontext als Bumerang erweisen.

Es fehlen Unterstützungsstrukturen, die den Rückgriff auf Erfahrungen und Knowhow ermöglichen, Erprobung von Szenarien erlauben oder nur eine Leitlinie bei der Implementierung liefern.

Dennoch sollte keine Schule nach dem in der Überschrift beschriebenen Motto handeln: Ohne ein Konzept, das mit anderen Schulen oder externen Partnern abstimmt ist und deren Erfahrungen berücksichtigt, macht eine Anschaffung, wie sie der Digitalpakt möglich macht, keinen Sinn und richtet mehr Schaden an, als er nützt.

Ein erster, einfacher zu kontrollierender Schritt könnte sein, die Lehrkräfte mit eigenen dienstlichen Geräten auszustatten und die einzelnen Rechner im Klassenzimmer (sofern vorhanden) zu ersetzen. Der Dank der Systemverantwortlichen und mittelfristig aller Lehrkräfte wird Ihnen sicher sein! 😉

2. “Wir werden jetzt ein Medienkonzept erstellen. Eine entsprechende Gruppe wird sich darum kümmern.”

Was an sich zunächst sinnvoll und vernünftig klingt, birgt eine Gefahr. Dr. Markus Reimer bringt diese auf den Punkt, wenn er (etwas abgeändert) formuliert:

„Wenn Sie Innovation in Ihrer Schule stoppen wollen, dann richten Sie eine Abteilung ein, die für Innovationen zuständig ist.“

Ein Medienkonzept und dessen Umsetzung müssen vom gesamten Kollegium (inkl. Schulleitung) kommen und auch von diesem umgesetzt und verantwortet werden. Eine Gruppe zu installieren, die sich um ein solches Konzept “kümmert” im Sinne von “Das machen die Leute, ich habe damit (zum Glück) nichts zu tun”, wird dem Gedanken einer modernen Bildung nicht nur nicht gerecht, sie wird unweigerlich scheitern.

3. “Ich nutze bereits die digitalen Medien, indem ich für alle Schüler Arbeitsblätter als pdf verteile!”

Nichts spricht gegen die Senkung des Papierverbrauchs, noch weniger gegen die Nutzung moderner Kommunkationsmittel. Allerdings sollte man sich im Klaren darüber sein, dass dies nur der erste Schritt sein kann und darf. Die Welt und ihre Gesellschaft entwickelt sich weiter und das Tempo wird aller Voraussicht nach nicht abnehmen. Zu glauben, man könnte seinem Bildungsauftrag gerecht werden, indem man alten Wein in neue Schläuche füllt und in seiner persönlichen Komfortzone verweilt, wird keine Zukunft haben – schon gar nicht im schulischen Umfeld. Von der Lehrperson der Zukunft wird mehr denn je verlangt werden, sich weiterzuentwickeln, dazuzulernen und Dinge anzupassen und ggf. völlig neu zu denken.

Auffallend dabei: Das IT-Knowhow im Bereich der Grundlagen (z.B. der Umgang mit einer zip-Datei, die Bereitstellung von Laufzeitumgebungen wie bei Java, die Update-Pflege von Hardware…) scheint in der Gesellschaft allgemein in der Breite rückläufig zu sein. Durch die geschlossenen Systeme ohne echtes Dateisystem mit ihren App-Stores verliert solches Wissen in einem bestimmten (Consumer-)Umfeld offenbar massiv an Bedeutung. Doch gerade wenn es um das Erstellen von schulischem Content geht, ist ein solch basales IT-Fachwissen substantiell. Hier wird der Prozess des lebenslangen Lernens für Lehrkräfte einen enormen Bedeutungsgewinn verzeichnen. Das Lehrpersonal muss sich dieser Herausforderung bewusst werden und darf sich ihr keinesfalls entziehen. Sollte die öffentiche Hand hier bei der Unterstützung versagen, werden die Folgen gravierend, um nicht zu sagen verheerend sein.

Es könnte jedoch auch der Fall eintreten, dass früher oder später jeder die Notwendigkeit einsehen muss 😉 … Oder wie es ein Kollege formuliert hat:

Spätestens wenn die ersten internetfähigen Kontaktlinsen marktreif sind, werden wir mit unserem aktuellen schulischen Alltagsdenken am Ende sein.

Darauf vorbereitet zu sein, wird in meiner Wahrnehmung eine Schlüsselkompetenz für den Lehrer von 2025 sein!

4. “Digitalisierung wird überbewertet. Wir warten ab, denn solche Trends erledigten sich bislang immer wieder von selbst.”

Dazu ist nicht wirklich viel zu sagen, außer: Die Wahrscheinlichkeit, dass Smartphones, mobile Datennetze … wieder verschwinden und an Bedeutung verlieren werden, dürfte gegen 0 gehen!

5. “Wir bieten jetzt auch mehrere Fortbildungen im Jahr zu Digitalem im Unterricht an.”

Diese Aussage drückt eine Denkweise aus, die den Anachronismus schlechthin bezeichnet: Zu glauben, man könne der Herausforderung der digitalen Transformation mit “ein paar Fortbildungen im Jahr” gerecht werden, ist in etwa vergleichbar mit dem Glauben, man könne die Donau mit einem Eimer leer schöpfen. Winking smile Es genügt eben nicht, mit alten Methoden wie jährlichen Eintagesangeboten das Personal zu schulen. Es muss eine tatsächliche Transformation stattfinden, die auch in den Köpfen der Verantwortlichen beginnen muss. Neue Fortbildungsformate, agile Methoden und modernes Wissensmanagement sind nur einige Schlagworte, die als Herausforderungen für die Zukunft zu begreifen sind und sich nicht mit antiquierten Pflichtveranstaltungen bewältigen lassen.

6. “40.000 Schulen können damit auf neuere Computer und besseres Internet hoffen.”

Dieses Zitat stammt aus der Tagesschau und zeigt das Wahrnehmungsproblem, das in den Medien leider nur zu präsent ist: Zu glauben, man müsste Schulen nur mit genügend Technik ausstatten und hätte damit den Anforderungen der Digitalität entsprochen, ist leider ein häufig wiedergegebener Irrglaube. Selbst wenn jeder Schüler/jede Schülerin mit einem digitalen Endgerät breitbandig im Netz unterwegs ist, wäre das größte Problem nicht wirklich gelöst. Nicht erst seit Hattie gilt es als allseits bekannt, dass Bildung nur mit den entsprechenden Köpfen gelingen kann. Moderne Konzepte, Unterrichts- und damit auch Schulentwicklung sind unter dem Blickwinkel der Digitalität nicht nebenbei leistbar – doch genau das wird von der Politik bis zum heutigen Tag gefordert. Wer glaubt, Konzepte, Fortbildungen, Weiterbildung und Networking könnten von Lehrkräften in diesem Kontext on Top erledigt werden, der verkennt die Realität. Oder um einen Vergleich zu bemühen:

Kein Unternehmen könnte es sich leisten, eine neue Fräsmaschine anzuschaffen, um dann die Belegschaft autodidaktisch mit dem Gerät vertraut zu machen.

vgl. dazu z.B. diesen Artikel.