Der Digitalpakt: eine Reise ins Ungewisse (Teil 2: #chancen)

Von | 27. Februar 2019

Die Untiefen der Digitalpakts sind glücklicherweise nur die eine Seite der Medaille. Es wäre fatal, wenn man die Initiative nur unter einem negativen Vorzeichen sehen würde. Die Chancen, die diese Initiative bietet, die Möglichkeiten für den schulischen Alltag sowie die Perspektive, die digitale Transformation im schulischen Bereich zu verankern, können die Zukunft der uns anvertrauten Kinder positiver gestalten und damit nicht weniger als unsere gesamte Gesellschaft zukunftsfähig machen.

#Chancen und #Requests

Wäre der Digitalpakt eine “Wünsch’ Dir Was”-Veranstaltung, würde der Autor folgende Punkte als zu nennend ausführen…

Wichtig!
Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit!

1. “Bitte kein Strohfeuer!”

Man hat es oft erlebt und mitunter mit großem Frust zur Kenntnis genommen: Initiativen wurden gestartet, gefeiert, gehyped, publiziert, propagiert …., um nach dem Fall des Vorhangs, dem Fokusverlust, dem Verschwinden des Spotlights wieder in der Versenkung zu verschwinden oder – noch schlimmer – mit der “Zeche” allein dazustehen. Ähnliches befürchten diverse Partner auf dem Spielfeld des Schulalltags auch beim Digitalpakt. Aber da die #NoGo-Liste bereits abgearbeitet wurde, sollen hier die positiven Wünsche im Vordergrund stehen.

Den Leitmedienwechsel vollziehen und seine Folgen verantwortungsbewusst bewältigen kann nur, wer die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung hat und diese gezielt einsetzen kann. Der Digitalpakt bietet die Möglichkeiten, entsprechende Ressourcen – und dies bitte nicht nur materiell verstehen – langfristig und nachhaltig zur Verfügung zu stellen.

Da beinahe jeder politisch Verantwortliche die Ausbildung unserer Kinder und damit die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft als substantiell bezeichnet, besteht die begründete Hoffnung, dass das soeben beschriebene böse Erwachen in diesem Fall ausbleibt.

2. “Klotzen statt Kleckern”

Der Volksmund kennt den Ausspruch …

“Wer billig kauft, kauft zweimal!”

Kompromisse zu machen, erweist sich dabei mit Sicherheit nicht als Problem. Es wäre allerdings wünschenswert, wenn eine Schule tatsächlich so ausgestattet werden könnte, wie es erforderlich ist. Diese Aussage ist zugegebenermaßen viel zu pauschal, um tatsächlich die Realität wiederzugeben, gibt es doch viele Schulen, die stets das bekommen, was beantragt wird.

Allerdings wird vielerorts das Beantragte an einen Rahmen angepasst, der den Handelnden vorab bekannt ist und damit eine Erfüllung sicherstellt.

Ein einfaches Beispiel:

Eine Schule entschließt sich im Rahmen ihres Medienkonzepts, für alle Lehrkräfte (oder für jeden Raum) ein Surface Pro-Tablet anzuschaffen. Der finanzielle Rahmen – in diesem Fall der Haushalt – einer Schule in diesem Bereich sieht jedoch keine Ausgaben für Geräte dieser Art (Gerätepreis ca 1200 EUR) in einem solchem Umfang vor. Die Schulleitung wird also von einer Beantragung, die von vornherein unrealistisch ist, absehen und günstigere (Comsumer-?)Geräte ausschreiben, die nicht für den alltäglichen Gebrauch vorgesehen sind.

Ein solches Szenario mag – wie gesagt – nicht an allen Schulen vorzufinden sein; der Nachweis, dass es durchaus anzutreffen ist, bedarf jedoch keiner großen Recherche.

Der Wunsch, der sich daraus ableitet, würde gleich mehrere systemkritische “Baustellen” vermeiden: Man möge doch passgenaue Lösungen zulassen, diese finanzieren und dabei gerne Experten konsultieren, die Fehlgriffe und BER-Erlebnisse vermeiden helfen.

Die Rendite dürfte nicht hoch genug einzuschätzen sein: Passgenaue, bedarfsgerechte, professionelle Infrastruktur gibt mehr Möglichkeiten im Unterricht, schafft Zufriedenheit, erhöht die Unterrichts- und damit die Schulqualität und führt letztlich zur besseren Erreichung der Bildungsziele.

3. “Alles neu macht der (Digitalpakt-)Mai!”

Die Forderung, nicht nur in Maschinen, sondern auch in Köpfe zu investieren, ist weder neu noch sonderlich originell, aber nicht weniger wichtig. Dabei geht es nicht um die reflexartige Forderung einer Gewerkschaft nach mehr Personal, sondern um ein Umdenken genereller Art: Lehrer brauchen Freiräume, um ihre Kompetenzen zu “pflegen”. Statische Unterrichtsinhalte gehören nicht zuletzt dank des Leitmedienwechsels der Vergangenheit an und werden abgelöst von dynamischen Inhalten, die nicht nur aktueller, und damit ansprechender, sondern auch erheblich lerneffizienter sind. Solcher Content generiert sich nicht von selbst und ist auf dem kommerziellen Markt nur sehr dünn gesät. Um dieses Problem zu beheben, bedarf es Freiräume, in denen Lehrkräfte ihr Wissen erweitern und im Geiste von #OER – im Idealfall gemeinsam – Unterrichtsinhalte und –methoden weiterentwickeln.

Der Digitalpakt bietet die Chance, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen bzw. zu verbessern. Gerade vor dem Hintergrund, dass kommerzielle Anbieter zum Teil noch weit hinter den schulischen Erwartungen zurückbleiben (und dabei den schwarzen Peter gerne an die Lehrkräfte weitergeben! siehe u.a. hier), wäre es von größter Bedeutung, hier anzusetzen und die Schaffung von #OER zu fördern.

(4. “Der Leitmedienwechsel muss sich endlich auch bei den Schulbuchverlagen vollziehen.”)

Der bereits zitierte Spiegel-Artikel genügt zwar nicht wirklich journalistischen Ansprüchen und weist zahlreiche inhaltliche Fehler auf, zeigt aber sehr gut das Problem: Digitale Schulbücher spielen im schulischen Alltag keine große Rolle und können nicht ansatzweise das Potential nutzen, das zur Verfügung steht. Die Erfahrung von inzwischen 15 Jahren im Bereich “Digitale Medien und Schule” zeichnet in Sachen Ursachenforschung ein anderes Bild:
Allein die Tatsache, dass jeder Verlag sein eigenes Nutzermanagement pflegt, der einheitliche Bildungslogin aus verschiedenen Gründen, die hier zu weit führen würden, keine Funktionalität bzw. Akzeptanz vorweisen kann und damit eine Schule nicht selten mit drei oder mehr Logins pro Schüler umgehen muss, um digitale Schulbücher wirklich nutzen zu können, zeigt, wo die Ursachen für den mangelhaften Verbreitungsgrad zu suchen sind.
Ein weiterer Punkt, der wünschenswert wäre: Die Anbieter sollten die Qualität ihrer Software und damit der digitalen Lehrmittel überprüfen. Die Apps sind zum Teil von technisch schlechter Qualität und auch die Usability lässt zu wünschen übrig.

Ein Beispiel:

Die App eines der drei Bigplayer ist nur schlecht auf einem Smartphone lauffähig und lässt sich auch auf Android-Tablets nicht gut nutzen. U.a. lässt sich der Speicherort der Sound-Files nicht ändern, was zu eklatanter Speicherknappheit führt und damit die Nutzung für Lehrkräfte unmöglich macht.

Sich vor diesem Hintergrund in der Öffentlichkeit so zu äußern wie im zitierten Artikel zeugt nicht von Kundennähe und einem gelebten Service-Gedanken, sondern eher von Verantwortungslosigkeit und mangelndem QM.

Was freilich in dem Zusammenhang erwähnt werden muss: Unmittelbar hat dieser Wunsch nichts mit dem Digitalpakt zu tun, weshalb er in Klammern gesetzt wurde.

5. “Ein fundamentales Umdenken bei der Prüfungskultur würde einen großen Fortschritt bedeuten.”

Die Sinnhaftigkeit von Noten in Frage zu stellen ist fester Bestandteil von bildungspolitischen Diskussionen, soll hier aber keine Rolle spielen. Vielmehr soll die Frage aufgeworfen werden nach der Grundlage, auf der besagte Noten entstehen und erteilt werden.

Wie formulierte es ein bekannter Wissenschaftler kürzlich sinngemäß:

Die Vorstellung, dass in Prüfungen 50 Leute in einem Raum ohne entscheidende Hilfsmittel ein und dieselbe Aufgabe erledigen, wäre in der Wirtschaft eine unvorstellbare Verschwendung von Ressourcen.

Die Aussage impliziert mit Sicherheit eine extreme Forderung, zeigt aber deutlich, welch anachronistische Tendenzen in der aktuell praktizierten Prüfungskultur zugrunde gelegt sind. Man muss die gegenwärtigen Entwicklungen nicht gut finden, aber wie bereits im ersten Teil geschrieben: Sie werden voranschreiten und über kurz oder lang die gegenwärtige Prüfungspraxis disruptiv “behandeln”.

Der Digitalpakt kann der Ausgangspunkt für die Verantwortlichen sein, um bereits jetzt Antworten auf Fragen zu finden, die sich mittelfristig ohnehin stellen und das System in sich erschüttern werden – ob es uns gefällt oder nicht! Wünschenswert wäre, wenn hier Entwicklungen vorangetrieben und Rechtssicherheit geschaffen würde.

6. “Nicht mehr alleingelassen sein im rechtlichen Wirrwarr!”

Auch diese Forderung ist längst bekannt und nicht weniger bedeutsam. Was im Bereich Urheberrecht und Datenschutz bereits erreicht wurde, mag viele nicht zufriedenstellen, ist aber wenigstens feststell- und nachweisbar. Ganz anders sieht es in Bereichen auf, die bislang überhaupt nicht in die Agenda des “Digitalen in der Schule” Einzug gefunden hat: Haftpflicht, Unfallschutz, Archivierung oder digitale Prüfungsformate.

Ohne dieses extrem komplexe Thema ausführen zu wollen, ein kurzes Beispiel:

Ein Lehrer berührt auf seinem Weg durch das Klassenzimmer während des Unterrichts ein auf dem Tisch liegendes Schüler-Smartphone, das dadurch auf den Boden fällt und beschädigt wird. Der Schüler nutzte sein Smartphone, um ein digitales Schulbuch zu bearbeiten. Es stellt sich die Haftungsfrage. Laut Auskunft der Regierung sind “solche Fälle eigentlich nicht abgesichert” und damit kein Schadenersatz möglich. Zitat: “Solche teuren Gegenstände sollten am besten gar nicht in die Schule mitgenommen werden.”

Soviel zum Thema BYOD Winking smile . Ähnliches gilt für alle anderen erwähnten Bereiche: So ist bislang völlig unberücksichtigt, dass ein Tablet im Klassenzimmer den (Schüler-)Arbeitsplatz arbeitsrechtlich zu einem PC-Arbeitsplatz macht, was unter anderem gravierende Auswirkungen auf das Mobiliar eines Klassenzimmers hat.

Wünschenswert wäre, wenn hier eindeutige Regelungen geschaffen würden, die es der Lehrkraft im schulischen Alltag ermöglicht, die Voraussetzungen für ein verantwortungsvolles Handeln zu kennen und die Risiken abschätzen zu können.


An dieser Stelle vielen Dank an Christian Mayr (@herr_mayr) und Sebastian Schmidt (@flippedmathe) für ihre Unterstützung!