In all den ermüdenden und zum Teil wirklich sinnfreien Diskussionen um die Einhaltung von Datenschutz-Bestimmungen landet man wohl oder übel immer bei einem ganz einfachen Fakt (der einem wirklich nicht gefallen muss – mir am wenigsten!): All die Diskussionen um schulischen Einsatz von Software und dem (völlig richtigen!) besonderen Schutzbedarf Schutzbefohlener laufen ins Leere, wenn man es mit den Schutz der Daten unserer Kinder oder wahlweise Schülerinnen und Schüler tatsächlich ernst meint – und ich meine tatsächlich und ohne Übertreibung ALLE!
Denn laut diverser Studien verfügen 97% aller Kinder ab 11 Jahren (also Sek I) über ein eigenes Smartphone und nutzen dieses in beinahe jeder Lebenslage intensiv (was den Datenkraken der Big5 nahezu unbegrenzte Einblicke in das Leben jener ermöglicht, die andernorts so hohen Schutzbedarf haben) . Und als (leidgeprüfter ) Vater einer 11jährigen kann ich sagen: Tatsächlich bedarf es im Jahre 2020 keines HighEnd-Phones mehr, um nahezu unendlich viele Möglichkeiten zu haben, dieses zu nutzen. Und dass neben WhatsApp und Youtube inzwischen TikTok die Nummer eins bei den Sprösslingen ist, sollte – fernab von Mindestalter… – niemanden mehr überraschen.
Eines ist dabei (scheinbar) unumgänglich und bildet die Grundlage dieses hier dokumentierten Selbstversuchs:
Jedes aktuell offiziell erhältliche Smartphone läuft entweder mit einer Software von Google oder Apple. Ausnahme: Smartphones ab 2020 von Huawei!
Ein Smartphone von Huawei als Testobjekt für den Selbstversuch?
Ja, diese Frage ist mehr als berechtigt, denn ich wage zu behaupten, aus Datenschutzgründen von Apple/Google zu Huawei zu wechseln, ist in etwa so, als würde man ein Messer ablehnen, weil es zu gefährlich ist, aber dann eine abgesägte Schrotflinte nutzen. Soll heißen: Wenn man einem US-Unternehmen seine Daten nicht geben möchte, gibt es diverse Gründe, dies erst recht nicht bei einem chinesischen in Erwägung zu ziehen.
Warum also dieser Versuch?
Ich wollte einfach testen, ob es möglich ist, ein Smartphone ohne Apple oder Google bei aktuellem Entwicklungsstand vernünftig zu nutzen.
Für die Freaks: Warum kein SailfishOS? Weil es noch weniger Softwareunterstützung bietet und dazu (Ergänzung: in der Community-Version #THX @Cermit3273) kein Sideloading von APKs bzw. keine breitere Hardware-Basis.
Kurzer technischer Hintergrund
Huawei darf keine Google-Software einsetzen und nutzt daher das so genannte AOSP, die freie Version von Android und baut dort seine eigenen Services (z.B. einen eigenen AppStor, die AppGallery) ein. Man kann also ganz einfach ausgedrückt zunächst keine Software von Google (und schon gar nicht von Apple) auf dem Phone nutzen. Diese Voraussetzung bildete die Basis für meinen Selbstversuch, der die Frage beantworten sollte:
Wie sieht ein Smartphone ohne Apple und Google aus? Kann man das im schulischen Alltag nutzen?
Testsmartphone: Huawei P40 Pro (erstanden in der Bucht zu einem extrem günstigen Preis 😉 )
Die Softwarequellen
Die Apps stammen eigentlich ausschließlich aus einem erst seit kurzem verfügbaren Tool von Huawei, das sich Petal Search nennt und Anfragen zu Apps in verschiedene Datenbanken schickt, die sich wiederum aus der hauseigenen AppGallery, den Quellen von PureAPF sowie diversen anderen AppStores wie z.B. dem von Amazon speist.
Die Erfahrungen
Ich möchte im Folgenden keine uferlos langen Texte zu den einzelnen Punkten schreiben, sondern mich stattdessen auf die für den (auch schulischen) Alltag wesentlichen Punkte in Kurzform beschränken.
Was gut funktioniert…
- Das Updaten von Apps (wird durch PetalSearch organisiert, sofern man die Apps darüber installiert hat)
- Viele bekannte Streaming-Apps von Amazon (mit allen Varianten), Spotify, Netflix …
- MS Office im Grundgerüst (Einschränkungen siehe nächster Punkt)
- Diverse Cloud-Tools wie Dropbox, Boxcryptor…
- SocialMedia wie Twitter, Facebook, WhatsApp, Threema (mit Einschränkungen siehe nächster Punkt)
- Auf den ersten Blick einige Edu-Apps wie Kahoot, Quizziz, MS Solver, Snapseed, Geogebra Classic
- logischerweise die Hardware (mit der extrem guten Kamera und einem sehr guten 90Hz-Edge-Display)
- Die neuen PetalMaps sind extrem gut umgesetzt und auf den ersten Blick besser als Google oder Apple-Maps, weil schlanker und übersichtlicher
Was nicht gut funktioniert…
- Kein SSO z.B. mit Google (logisch!)
- keine Google-Services (ließen sich bei der neusten Software 154 auch nicht mit großen Aufwand nachrüsten! Stichwort: Googlfier!)
- keine Chromecast-Unterstützung (extrem wichtig für den schulischen Einsatz in unserem UseCase). Reverse Engineered Apps wie AirConnect, die zum Beispiel Airplay nachbauen, sind nicht ausreichend stabil (wie auf allen mir bekannten Android-Phones). Und MiraCast wird zwar unterstützt, ist aber mangels Performance kein Modell mit Zukunft (auch kein offizieller Bestandteil des Andoird-Cores mehr) und bei unserem Setting kein Faktor (GoogleCast und Airplay decken alles ab!)
- keine Spracherkennung/Spracheingabe (sehr nervig bei längeren Texten im SocialMedia-Bereich!)
- keine Notfications (z.B. bei Twitter oder Threema) und diverse Fehlermeldungen (z.B. bei MS Teams), die aber “nur” nerven und den Betrieb nicht komplett verhindern.
- Threema lässt sich im Browser nicht wirklich sinnvoll nutzen ohne Google-Services und muss zudem über einen Sideload erworben und installiert werden.
- kein Banking (nur via Browser eingeschränkt möglich) und auch kein NFC-Pay möglich
- Kahoot lässt entsprechend dem ersten Punkt keine Google-Anmeldung zu, so dass eventuell dort bereits genutzte Inhalte unter einem solchen Acc nur umständlich per Chrome-Browser zu erreichen sind (und auch hier gibt es immer wieder Probleme bei der Anmeldung)
- kein AndroidAuto und auch kein MirrorLink unterstützt
- Padlet läuft nicht, ebensowenig ToDoist
- Kontakte sind nur lokal (nein! Huawei-Cloud ist nicht die Lösung! ;)) zu speichern, CardDAV funktionierte nicht zuverlässig
Fazit
Es ist durchaus möglich, komplett ohne Google aus diversen Quellen (selbst ohne die Huawei-Services) ein Smartphone sinnvoll zu betreiben, aber es gehört schon sehr viel Geduld und Überzeugung dazu, diesen zweifellos großen Rückschritt zu vollziehen.
Man hat sich an sehr viele Annehmlichkeiten gewöhnt und weiß diese – wie so oft – erst dann zu schätzen, wenn sie einem tatsächlich fehlen.
Ich bin für die Erfahrung dankbar und weiß, dass es ein Leben ohne Google und Apple geben kann. Aber aktuell bin ich dafür noch nicht bereit und bleibe in den Android- und IOS-Welten hängen, weil ich den Verlust an Komfort (und damit an Zeit) (noch) nicht bereit bin, zu akzeptieren.