Twitter – eine Community degeneriert

Von | 9. April 2022

Eine Erfolgsgeschichte begann …

Seit inzwischen 13 Jahren bin ich (mehr oder weniger intensiv) auf Twitter unterwegs. Zunächst einfach querbeet, entdeckte ich Twitter immer stärker als immer wertvollere Quelle für meinen Beruf als Lehrer. Auf Twitter entstanden Communities wie das #Twitterlehrerzimmer, das dann irgendwann zum #twlz wurde, und ich durfte sogar „dabei sein“, wie unsere „eigene bayerische Gemeinschaft“ #Bayernedu gegründet und etabliert wurde. Es wurde eine echte Erfolgsgeschichte:

Nicht nur schier endlose Unterrichtsideen und Praktiken, auch zahlreiche Bekanntschaften und Freundschaften entstanden – und das Beste daran: unsere Schülerinnen und Schüler waren (zusammen mit der gesamten Schulgemeinschaft) ebenfalls Gewinner! Zahlreiche Verbesserungen hielten Einzug in den Schulalltag und ich bin bis heute überzeugt, dass unsere Schule ein besserer Ort geworden ist – nicht nur, aber auch und gerade wegen der Twitter-Community!

… der „Niedergang“ ist erlebbar

Doch auch in besten Twitter-Zeiten waren Störgeräusche spürbar, wie sie in jeder Community auftreten und die keineswegs besonders waren: Leute mit überdimensioniertem Ego spielten sich auf, wollten sich als Experten inszenieren, warfen mit plakativen Begriffen um sich oder fühlten sich als Instanzen, wenn es um (digitale) Bildung ging.

Auch in den guten Zeiten nervten diese Pseudos mit ihren Monster-Egos, die so gar nichts von einem kollegialen Umgang hatten und haben wollten.

Was ich aber gerade in emotional aufgeladenen Corona-Zeiten feststelle, sprengt die Dimensionen in Sachen Nervfaktor. Wo früher ein Uni-Mann im Überschwang der Gefühle sich selbst und seine Fraggles für einen Schieberegler freudetrunken feierte, werden von den gleichen Leuten in scheinbar kaum zu unterbietender Niveaulosigkeit Kolleginnen angegriffen, indem man sich über deren Tweet lustig macht und bewusst deren Herabwürdigung praktiziert. Dass man dann nicht einmal ansatzweise die Größe besitzt, etwas zurückzurudern (von Entschuldigen will ich gar nicht sprechen!), sondern sich dann wie die sprichwörtliche beleidigte Leberwurst mumu-artig zum Opfer stilisiert, ist nach Gerhard Polt nicht ansatzweise verwunderlich (und eigentlich auch gar nicht zu kritisieren), sondern letztlich einfach nur konsequent.

Aber das ist nur ein (uraltes, weil längst bekanntes) Beispiel. Beinahe schlimmer finde ich die Entwicklung, die mit sich selbst überschätzenden (Nicht-)Experten gar nichts zu tun hat: Durch Corona, Querdenker, Radikale … hat in Twitter eine „Gesprächskulur“ Einzug gehalten, die ein so unterirdisches Niveau aufweist, dass es mit den Anführungszeichen eigentlich nicht getan ist, will man den Begriff „Gesprächskultur“ nicht komplett entweihen und seiner Seele berauben.

Die Liste der uferlosen, stillosen, abscheulichen … „Techniken“ ist (viel) zu lang:

  • Screenshots statt Retweets
  • Gezielte Non-Mention
  • Ad Hominem Beleidigungen in der Anonymität
  • Unsachlichkeit
  • Gezielte Herabwürdigung
  • Unterentwickelte Selbstreflexionsfähigkeit
  • Von diversen Beschimpfungen … will ich gar nicht erst anfangen

Das alles könnte man unter „Die aktuelle SocialMedia-Welt ist halt so!“ abtun, aber ich beziehe mich ausdrücklich nur auf die #twlz-Blase. Und da lege ich – ja, ich gebe zu: Das ist maximal naiv! – einen anderen Maßstab an: Unter Kolleginnen und Kollegen, aber auch an Bildung Interessierten, muss es einen Grundkonsens über eine sinnvolle, respektvolle Kommunikation geben. Ich muss von Leuten, die jungen Menschen zeigen sollen, wie sie im Leben zurecht kommen und ihrer Verantwortung gerecht werden können, erwarten, dass man weiß, wie Kommunikation funktioniert oder um es in der Fachlichkeit zu belassen: Wie das Dagstuhl-Dreieck umzusetzen ist.

Dagstuhl-Dreieck

Dass dabei in immer schnellerer Taktung das Niveau unterboten wird, macht mich mehr als nachdenklich und führt dazu, dass ich keinen motivierten jungen Kollegen mehr unbedarft und ohne „Einführung“ in das #twlz schicken würde.

Von diversen Selbstdarstellern, die mehr damit beschäftigt sind, das 5. K zu suchen oder das neue Movens zu verkünden, habe ich dabei bewusst gar nicht gesprochen, da diese weder toxisch, noch schädlich, sondern allenfalls lächerlich, ja manchmal sogar unfreiwillig komisch sind 😉  und damit zur Erheiterung beitragen 😉

PS:

Diesen Blogpost brauchte es, damit ich in den anstehenden Osterferien abschalten kann 🙂

Bildquelle: https://dagstuhl.gi.de/dagstuhl-erklaerung

2 Gedanken zu „Twitter – eine Community degeneriert

  1. Clemens Grün

    Hallo,

    schon von „Mastadon“ und dem „Fediverse“ gehört? Da tut sich eine neue Social-Media-Welt auf, dezentral, über ein recht frisches Protokoll „ActivityHub“ (seit 2018) kunstvoll verwoben. Die Suchmaschine deines Vertrauens wird dir zu diesen drei Begriffen Lesestoff für Wochen ausspucken.

    Entscheidens ist: Mit einem der Fediverse-Dienste, namentlich das Twitter-artige „Mastadon“, können sich Menschen jenseits der kommerziellen und oft auch toxischen Großdienste (Twitter, Facebook, Instagram usw.) ihre eigenen Social-Media-Welten schaffen/aufbauen. Jedenfalls dann, wenn mensch es schafft, andere Gleichgesinnte mit herüberzuziehen.

    Ein paar Millionen sind schon weltweit dabei. Jüngste Prominente dort sind Jan Böhmermann und Wetterfrosch Kachelmann. Allerdings: Da konzern- und werbefrei, gibt es diese furchtbare Influencerwelt nicht.

    Viel Spaß beim Entdecken

  2. mike Beitragsautor

    Danke für den Hinweis! Ich bin da schon vertreten ;).

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