Software-Abhängigkeiten im EDU-Bereich – ein Versuch einer Analyse

Von | 6. Februar 2021

Ich habe mich in der Vergangenheit immer wieder mit Alternativen in verschiedenen Bereichen der Technik beschäftigt: Android und IOS auf Tablets und Smartphones getestet, Linux, MacOS und Windows genutzt, zwischen Nextcloud, OneDrive und Dropbox geswitched … das mag mitunter wenig Sinn ergeben haben, einen hatte es aber: Man konnte sich in verschiedenen Ökosystemen umsehen, diese testen und Erfahrungen sammeln… reicht das für eine fundierte Aussage? Möglicherweise… auf jeden Fall befähigt es dazu, persönliche Eindrücke zu gewinnen und diese in diesem Kontext zu schildern.

Der Anlass dieses Postings…

Über Twitter kann man sich hervorragend austauschen und mitunter auch diskutieren (auch wenn das Medium dafür sicherlich nicht gedacht ist). In dem Zusammenhang postete der geschätzte Kollege Hanauska einen Artikel, der den Anlass zu diesem Post bildete:

https://www.inside-it.ch/de/post/schulen-muessen-mit-grossen-mehrausgaben-fuer-microsoft-lizenzen-rechnen-20200619

Der Ist-Zustand

Eine Schule durchschnittlicher Größe (ca. 500 Schüler) zahlt momentan in Bayern für eine Lizenzierung von M365 (ca. A3) inkl. Win10-Lizenzen für alle Clients grob geschätzt etwa 2000€ (reine Schätzung!) jährlich. Darin enthalten sind neben dem momentan stark nachgefragten MS Teams auch 1 TB Cloudspeicher für jeden Nutzer, Offline-Lizenzen für die gesamte Office-Suite und noch vieles mehr. Zudem sind wie geschrieben alle Clients im Schulgebäude lizensiert.

Im Folgenden versuche ich, die für den täglichen Schulbetrieb relevanten Komponenten durchzugehen und mit Alternativen zu vergleichen.

Wichtig: Die Kostenschätzungen sind tatsächlich komplett geschätzt, weil mir hier der Überblick über das Pricing in größerem Umfang fehlt!

Das Clientbetriebssystem

Im schulischen Kontext findet sich sehr oft Windows 10 auf den Rechnern der Schule. Angesichts der Anforderungen fehlten hier in der Vergangenheit häufig die Alternativen: Viele Dokumente lagen nur im DOC-Format vor, CAD-Software gab es in dokumentierter Form nur unter Windows und die Hardware-Unterstützng tat das ihrige dazu, um die Suche nach Alternativen für den Normale zum frustrierenden Erlebnis werden zu lassen.
Doch die Lage hat sich (glücklicherweise) in den letzten 5 Jahren erheblich verbessert. Inzwischen sind Ubuntu, MINT, Elementary … so gut entwickelt, dass weder die Installation noch die Versorgung mit geeigneter Software Teufelswerk oder die Sache eines Geeks ist. Wenn ich auch im Alltag noch abstriche machen müsste: Es wäre kein großes Problem, auf eine der genannten Distributionen umzusteigen.
Die Kosten (nach dem bei uns gängigen Admin-System) wären in jedem Fall ein Pluspunkt.

Die Clientsoftware

Die klassische Software auf schulischen Rechnern ist natürlich sehr unterschiedlich. Daher im Folgenden nur ein paar Anwendungen, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf den meisten Schulrechnern anzutreffen sind:

Anwendung Windows Linux
Officesuite Office 365, LibreOffice, Softmaker LibreOffice, Softmaker
Zeichenprogramm Corel, Affinity Designer, Inkscape Inkscape
Grafikprogramm Affinity Photo, Adobe Photoshop, Gimp Gimp
Videoschnitt Adobe Premiere, Magix Video Deluxe, OpenShot, ShotCut, DaVinci Resolve, Kdenlive OpenShot, ShotCut, Kdenlive, DaVinci Resolve

Viele weitere Software wie Entwicklungsumgebungen, Editoren werden ohnehin plattformübergreifend entwickelt und sind daher auf allen gängigen OS verfügbar.

Bei Spezialanwendungen wie z.B. CAD-Software hat sich die Lage inzwischen auch verbessert, weil es Angebote (z.B. onshape) gibt, die im Browser laufen und auch die Anforderungen des schulischen Alltags (zumindest teilweise) erfüllen.

Probleme kann es zwar immer noch mit der Treiberunterstützung geben (z.B. bei (3D)Druckern), aber diese lassen sich alle lösen .. wenn auch mit Aufwand!

Das VideoConferencing

Hier sehe ich eine der größten Baustellen, denn Teams und sein Softwareumfang (also alle Funktionalitäten, die es integriert) ist faktisch nicht zu erreichen. Abgesehen davon, dass ich immer noch der Meinung bin, dass BigBlueButton technisch eine mehr schlechte, als rechte Lösung für Videokonferenzen darstellt (keine gute Stabilität, Funktionalität nicht auf dem aktuellen Stand…) sind viele aktuell genutzte BBB-Systeme datenschutzrechtlich noch wesentlich problematischer als z.B. Teams: Grund für diese Aussage: Wenn man kein SSO in Zusammenhang mit BBB nutzt, kann nie auch nur annähernd sichergestellt werden, dass sich nur die Leute in der Videokonferenz aufhalten, die dort berechtigt sind. (und bitte an der Stelle nicht auf den Passwortschutz verweisen, denn der Link und das PW sind schneller in Umlauf gebracht, als man klicken kann! 🙁 ).
Dass sich aber auch das Problem lösen lässt, beweisen Anbieter, die eben ein SSO über mehrere Systeme anbieten und den Gastzugang nur optional anbieten.
Bei den BigPlayern wie Zoom oder WebEx ist das Problem per default nicht so ausgeprägt (hier lassen sich Zugänge auch anders regeln), aber mitunter auch vorhanden.

All diesen Lösungen gemein sind die zum Teil extremen Mehrkosten. Einen BBB-Server für eine Schule der oben beschriebenen Größe bekommt man in der Leistungsfähigkeit (also 500 Verbindungen in Corona-Zeiten) nicht unter 400 EUR monatlich. Das ist brutal und steht in keinem Verhältnis zu dem, was auf MS-Seite aufgerufen wird.

Andererseits muss auch jedem klar sein, dass die Pandemie (hoffentlich!) irgendwann vorbei sein wird und dann Server dieser Größenordnung nicht mehr gebraucht werden.
Stand jetzt aber sind derartige Preise bestenfalls unattraktiv!

Messaging

Teams liefert auch in dem Bereich wieder auf ganzer Linie ab: Beliebig viele Teams lassen sich in Channels einteilen, die wiederum genau definierten Regeln unterliegen können. In Kombination mit Gruppen ergibt sich hier ein maximaler Funktionsumfang in Kombination mit hoher Bedienbarkeit. Zusammen mit der Integration der kompletten Online-Office-Suite sowie so mächtigen Tools wie dem OneNote-Classbook eine erneut unschlagbare Kombination.
Aber auch hier gäbe es Alternativen: Mit z.B. Threema Work (Edu) hätte man einen Messenger, der das Wesentliche, die Kommunikation sogar einfacher, vor allem transparenter und dazu sicherer anbietet. Zwar ist der Funktionsumfang eingeschränkter, aber dafür die Datensicherheit eine andere.
Ein Umstieg von Teams zu z.B. Threema Work (Edu) wäre also zwar mit einigen Einschränkungen (=Rückschritten) verbunden, aber durchaus realistisch druchführbar.

Cloudspeicher

Cloudspeicher an sich ist vom Enduser aus betrachtet keine Kernkompetenz von Microsoft (auch wenn der Großkonzern mit seiner Azure-Architektur sich als einer der Giganten auf dem Markt der CloudSysteme erweist). Persönlich bevorzuge ich vor allem Dropbox, aber auch NextCloud vom Funktionsumfang, aber auch von der Usability her immer. Dazu nutze ich das in meiner Erfahrung sehr zuverlässige Tool Boxcryptor, so dass auch der Standort des Rechenzentrums nur eine untergeordnete Rolle spielt.
OneDrive ist also keinesfalls ein Grund, bei MS zu bleiben – mit einer Ausnahme: Da OneDrive im oben genannten O365-Paket mit 1 TB pro Nutzer mit eingepreist ist, spielt es als Trumpfkarte tatsächlich wieder die Kosten aus: 1 TB kostet bei allen anderen Anbietern zwischen 60 und 100 EUR pro User per Anno. Das gilt es in jedem Fall mitzubedenken.

Das Thema OneNote

Ja, auch der Autor dieser Zeilen ist ein begeisterter Nutzer von OneNote. Egal ob die Plattformunabhängigkeit (zumindest grob!), die Vielseitigkeit, das Tempo der Weiterentwicklung – OneNote ist State-Of-The-Art bei den Notiz-Programmen und in Kombination mit Teams ein absolut gigantisches Werkzeug, das konkurrenzlos den Markt beherrscht. Ehemalige Rivalen wie Evernote haben durch die fehlenden Kollaborations- und Teamarbeitsmöglichkeiten keine Chance.
In dem Bereich gibt es meines Wissens nach kein Tool (nicht einmal von Google), das hier Ähnliches vorweisen könnte. Mir gefällt am besten (vom Rest) noch Joplin (mit Einschränkungen Notion) , das großes Potential hat und das ich mir schon vorstellen könnte zu nutzen.
[Update]
Auch XJournal++ wurde mir als Alternative genannt (thx A.M.). Ich persönlich bin davon aber nach einer Testphase nicht überzeugt gewesen!

Das große ABER

Es würde den ganzen Post ad absurdum führen, wenn ich den größten Nachteil von OneNote unerwähnt ließe: Die Inhalte von OneNote lassen sich nicht bearbeitbar in ein anderes Programm übertragen. Es gibt zwar Export-Möglichkeiten (wie pdf), aber dass MS hier keinen Export (z.B. auf XML- oder JSON-Basis) anbietet, ist ein Fail und ein klassischer Fall eines gewollten Lockins, wie ihn Apple nicht besser hätte umsetzen können. 😉

Fazit

Man muss sich der Gefahr bewusst sein, die eine Abhängigkeit von einem Anbieter für eine Schule mit sich bringen kann. Daher gilt es, diese Abhängigkeiten zu begrenzen. Möglichkeiten im ganz kleinen wären etwa:

  • Nutzen offener Formate
  • Breite Streuung der Software
  • stets einen Blick für Alternativen haben
  • Keine pathetische Herangehensweise bei der Auswahl und Anschaffung („Ich finde xy super und daher will ich wieder was von denen!“)

Ganz generell gilt in dem Bereich, was auch schon für die Weiterentwicklung des Unterrichts gilt: Das viel zitierte „Open Mindset“ hilft hier enorm! 😉

Und um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Ich sehe gegenwärtig keine große Gefahr, von einem Hersteller/Anbieter abhängig zu werden. Man sollte nur nicht blauäugig alles andere verdammen und neuen Angeboten eine Chance geben! Oder um es in einer kurzen Phrase auf den Punkt zu bringen:

„Vielfalt statt Eintönigkeit ist die Devise!“

Diese Ausführungen sind nur ein kleiner Streifzug – und der ist schon zu lange … einmal mehr ein Sorry und tl;dr an meinen niederbayerischen Freund Armin! 😉

Wichtig zum Abschluss:

Ich habe bewusst den Bereich der mobilen Geräte außen vor gelassen, weil hier ein Lockin faktisch die Realität ist: Bei Smartphones hat man (leider – ja, es gibt SailfishOS 😉 ) nur die Wahl zwischen Systemen von Apple und Google. Allein durch die App-Käufe erfolgt hier ein Lockin, der sich faktisch nicht vermeiden lässt!
Bei Tablets fällt der Lockin nicht so stark ins Gewicht, wenn man sein Medienkonzept nach Plattformunabhängigkeit ausgerichtet hat.
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