Videokonferenzen in Schule: Warum die Lösung nicht so einfach ist

Von | 16. Oktober 2020

In Zeiten der Pandemie und damit wahlweise Distance-Learning, Distanzlernen, Hybridunterricht, Unterricht Dahoam… ist kaum eine Technik (?) so en vogue wie die der Videokonferenzen. SchülerInnen von zuhause aus virtuell “in die Schule holen”, sie remote zu betreuen, zu unterstützen, … – definitiv gibt es zahlreiche Anwendungsfälle, in denen Videokonferenzen Sinn machen.

Doch was ist daran kompliziert?

Skype, Facetime, WhatsApp gibt es schon ewig und deren Usability ist entsprechend ausgereift. Die Nutzung ist beinahe jedem mehr oder weniger auf Anhieb geläufig und die Verbreitung immens.

Aber beim Thema Datenschutz, Skalierbarkeit (= Was bei 3 Leuten funktioniert, tut das nicht zwangsläufig bei 300 Winking smile ) oder Funktionalität sieht die Sache mit der Komplexität schon anders aus. Um es kurz zu machen: Alle drei BigPlayer sind bei diesen Kriterien bereits “raus”, ohne das näher beleuchten zu wollen. Daher geht mein Blick auf bekannte Software, die im Bereich der Schulen immer wieder Verwendung findet.

Was will dieser Blogpost und was nicht?

Es geht nicht um einen umfassenden Marktüberblick und auch nicht um das Küren einen Testsiegers, sondern um das Schildern von Erfahrungen, die ich mit Fakten hinterlegen möchte, um Interessierte an unserer Arbeit teilhaben zu lassen. Keinesfalls ist dieser Post als Bashing oder Hyping von irgendwelcher Software zu verstehen. Das entspricht nicht der Intention dieses Blogs und ist in diesem Kontext auch gar nicht sinnvoll!

Was ist zu fordern?

Es muss möglich sein, ….

  • Klassen sehr einfach (am besten ohne Login) teilnehmen zu lassen.
  • den Screen zu teilen (und noch besser: spezielle Anwendungen).
  • zu chatten
  • Dateien auszutauschen
  • die Software auch mit schwächerer Bandbreite zu nutzen
  • die Software auf allen Betriebssystemen einzusetzen.
  • das Ganze datenschutz-technisch sinnvoll und verantwortungsvoll zu betreiben.

Die Angebote, die wir in die engere Auswahl genommen, tatsächlich im Alltag getestet und Erfahrungen gesammelt haben…

  • BigBlueButton
  • Jitsi
  • MS Teams

Die ersten beiden wurden auf unserem eigenen root-Server (Hetzner AX41 Ryzen 5 3600, 64 GB RAM) installiert und betrieben. Die Specs lagen deutlich über den minimalen Anforderungen und waren laut Monitoring nie am Limit in unseren Szenarios.
Bei MS Teams gibt es für kleine Instanzen keine Hosting-Möglichkeit, jedoch im Enterprise-Bereich eine on premise-Lösung, die hier aber logischerweise nicht getestet werden konnte. Stattdessen stand uns eine A3-Lizenz (gehostet von MS in der EU bzw. zum Teil in D) zur Verfügung.

Unsere Erfahrungen

Im folgenden schreibe ich unsere Erfahrungen zu den einzelnen Produkten nieder, wie wir sie gemacht haben. Es ist nicht meine Absicht, hier irgendetwas schlecht zu reden oder zu verharmlosen, sondern einfach unsere Eindrücke und Erkenntnisse wertfrei (ohne eine subtile Absicht!) wiederzugeben.

BigBlueButton

Bereits beim Aufsetzen des Servers fiel mir eine Sache auf, die im EDU-Bereich (vor allem bei Leuten, die sehr großen Wert auf Datensicherheit leben) in meiner Wahrnehmung nicht wirklich thematisiert wurde: Die Software läuft laut Entwicklerauskunft ausschließlich auf Ubuntu 16.04 64-bit.

BigBlueButton requires Ubuntu 16.04 64-bit. See Install BigBlueButton.

We (the core developers) have not installed BigBlueButton on any other version of Ubuntu. It probably won’t work.

Zwar handelt es sich dabei um eine LTS-Variante, die noch bis 2021 Updates erhält. Aber erstens liegt der Zeitpunkt nicht mehr allzu fern und zweitens habe ich bei einer Software, deren Grundgerüst vier Jahre alt ist, prinzipiell ein mulmiges Gefühl. Und Version 2.3, die noch nicht final und damit nicht produktiv einsetzbar  ist, baut immer noch auf Ubuntu 18 LTS auf, das bereits wieder zwei Jahre auf dem Buckel hat.

BigBlueButton 2.3 requires the same minimal requirements as 2.2 with one notable exception: you need to install it on Ubuntu 18.04.

Die Installation gestaltete sich für einen Linux-Amateur (als Profi würde ich mich keinesfalls bezeichnen!!!) sehr einfach, zumal sie gut dokumentiert ist. Dennoch empfiehlt es sich, den BBB-Server an eine Webseite (z.B. WP) oder neuerdings auch in eine Nextcloud (ab Version 20 ootb möglich) anzubinden. Auf die Installation eines TURN-Servers habe ich verzichtet.

UPDATE 1/2021

Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, BBB mittels Docker-Environment zu betreiben und damit die Software-Basis-Problematik zu entzerren. Dies ist aber nicht der offiziell von den BBB_entwicklern dokumentierte Weg!

Im Betrieb erwies sich BBB als gut funktionierend. Zwar brachen Verbindungen immer wieder ab, aber nicht in einem Maße, dass es die Nutzung wesentlich beeinträchtigt hätte. Die Möglichkeiten sind für Schulen vielfältig und sinnvoll. Alle notwendigen Funktionen (leider kein Dateiversand!) sind vorhanden und intuitiv´zu bedienen:

image

Die Schüler wurden per Link eingeladen und konnten ohne Anmeldung teilnehmen. Die Bedienung war kein Problem.

Was aber ein echtes Problem darstellte: Die benötigte Bandbreite!

bbb1

Möglicherweise ist die genutzte Schnittstelle WebRTC nicht wirklich optimiert, aber die genaue Ursache blieb uns auch nach längerer Recherche verborgen. Anscheinend kann aufgrund der W3C-Zulassung kein besserer Codec verwendet werden (keine Nutzung von proprietären Codecs erlaubt!). Fakt ist: eine Videokonferenz mit Videoübertragung beansprucht nicht selten 10 MBit (ohne dass alle ihre Cam aktiviert hätten). Was bei einem 16 MBit+-Anschluss kein gravierendes Problem darstellt, ist bei der gegenwärtigen Versorgungslage auf dem “flachen Land” ein echtes Problem und systemkritisch!

Die Videoqualität entpuppte sich bei unseren Tests seltsamerweise (trotz höchster Einstellung) als mittelmäßig.

Die Hostingkosten bei eigener Installation und Wartung auf einem blanken RZ-Server liegen bei etwa 50 EUR/Monat. Dann sollte ein Betrieb mit 10 Sessions gleichzeitig möglich sein. Wir konnten das aber nicht in der Breite zuverlässig testen.

Für die meisten Schulen, die einen eigenen BBB-Server haben wollen, bieten sich eher Angebote der Hoster an. Diese beginnen z.B. bei 120 gleichzeitigen Verbindungen bei etwa 70 EUR .im Monat.

Bewusst gehe ich nur kurz auf das Thema Datenschutz ein. Zum einen, weil es zu komplex ist. Zum anderen, weil diese Thematik mit so viel Ideologie behaftet ist, dass Sachargumente bzw. Fakten kaum mehr eine Rolle spielen. Und wenn jemand entscheidet, weil er glaubt, etwas zu wissen, macht eine solche Ausführung keinen Sinn mehr. Winking smile

Alle anderen wissen, dass man durch das Hosting im deutschen RZ definitiv Vorteile bei einer DSGVO-konformen Umsetzung hat. Und solche Leute wissen auch, dass ohne Glassbox-Test aus technischer Sicht keine DSGVO-Konformität zu gewährleisten ist…. schon gar nicht bei einer vier Jahre alten Middleware.

Von diversen Bugs und Sicherheitslücken im aktuellen BBB spreche ich bewusst nicht, weil dies kein Problem von BBB, sondern von jeder Software ist.

Um es klar zu sagen: BBB ist ein guter Weg, den man gehen kann – aber eben nur einer unter vielen, der wie alle anderen Alternativen auch aber Schwächen aufweist, die (zunächst/bis zu einer zentralen Lösung) jeder für sich beurteilen und abwägen muss!

Jitsi Meet

Jitsi Meet lässt sich noch einfacher und vor allem mit weit geringeren Systemvoraussetzungen auf einem Linux-Server installieren und hat im Gegensatz zu BBB keine Einschränkungen, was die gängigen Distributionen betrifft. Die Installation ist sehr einfach und sogar via Youtube-Video sehr gut zu machen. Das gelingt auch Einsteigern mit wenig Linux-Kenntnissen.

Die Bedienung ist kein Problem und ohne Anleitung intuitiv nutzbar.

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Die Möglichkeiten sind im Vergleich zu BBB zwar beschränkter (Kein lokaler Video-Stream, kein Dateiversand…), aber ausreichend. Der BackgroundBlur war Beta und führte zu FrameDrops, so dass der Einsatz wenig sinnvoll erschien.

Die Videoqualität bewegte sich unterhalb von BBB, jedoch war die Tonqualität scheinbar besser, was überrascht angesichts der Nutzung von ebenfalls WebRTC etwas überrascht.

Neben dem gleichen Bandbreitenproblem hat Jitsi zusätzlich zu BBB aber in unseren Anwendungsszenarien auch ein Stabiltätsproblem, wenn mehr als 15 Personen teilnehmen. Reproduzierbar verloren wir immer wieder die Verbindung, die Session stürzte ab und wir mussten alle Teilnehmer neu reinholen.

Das war für uns ein absolutes NoGo und war leider auch auf anderen Instanzen wie Jitsi selbst nicht besser.

Vom Datenschutz her sollte hier alles noch eine Stufe höher einzuschätzen sein, weil eben nicht das Problem eines veralteten Software-Unterbaus besteht.

MS Teams

Als Schule mit A3-Lizenz haben wir auch Zugriff auf MS Teams, das von seinem Funktionsumfang her betrachtet in einer völlig anderen Liga spielt. Andererseits gibt es hier nicht die Möglichkeit, das Angebot selbst zu hosten und auch der Quellcode ist nicht offen.

Die Videoqualität ist deutlich über den beiden Konkurrenten und bietet zudem funktionierende, sinnvolle Zusatzfunktionen (z.B. Background-Blur!).

Dafür ist eine Nutzung ohne Login und ohne M/O365 nicht wirkich sinnvoll möglich, wenngleich es diese Option gibt.

Die Datenschutzsituation ist – ohne ausgebildeter Datenschützer zu sein – wesentlich unkomfortabler als bei den beiden Konkurrenten. Microsoft hat es bis heute nicht geschafft oder für nötig befunden, eine klare Auftragsdatenverarbeitungsvorlage anzubieten, die auf die rechtlichen Anforderungen eingeht und den Schulen Rechtssicherheit bietet. Stattdessen eiert man mit herum, zieht alibimäßig Server um und rührt die Werbetrommel, ohne offensichtlich auch nur ansatzweise auf die DS-Bedürfnisse klar einzugehen. Das führt dazu, dass ein konkurrenzlos gutes, nicht nur für den aktuellen Anwendungsfall passendes Produkt in einem fadenscheinigen Licht erscheint und es Schulen schwer macht, ihren Schülerinnen und Schülern diese Vorteile zugänglich zu machen.

Im täglichen Einsatz (bereits vor der Pandemie z.B. mit kranken Schülern) erwies sich das Tool als immenser Gewinn. Nicht nur, dass die Bedienung für den Funktionsumfang noch einigermaßen eingängig ist… die Funktionen sind vielfältig, sinnvoll, anpassbar und leistungsfähig. Und für das eigentliche Thema am wichtigsten: Der Codec und damit die benötigte Bandbreite reduziert sich im Mittel um 40%.

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Oder um es auf den Punkt zu bringen: Ein Produkt, das in seinem Funktionsumfang faktisch unschlagbar ist, wird Opfer einer (beabsichtigt?) stümperhaften Informations- und Datenschutzpolitik, während Microsoft als Anbieter seine Kunden im Regen stehen lässt.

Fazit

Jede hier erläuterte Software hat ihre Daseinsberechtigung und kann bestimmte Dinge besonders gut. Das Bandbreitenthema ist ein Riesenproblem, wenngleich hier im letzten halben Jahr Fortschritte erzielt wurden (im April war hier das Verhältnis noch 1:10!).

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Diese Werte ergaben sich aus Stichproben und sollen nur einen Eindruck vermitteln. Ansonsten sind sie nicht repräsentativ, weil nicht wissenschaftlich ermittelt!

Rein von der Funktionalität her kann es keine zwei Meinungen über das tatsächlich beste Produkt geben, wohl aber im (datenschutz-)rechtlichen Bereich. Hier ist es gegenwärtig an den Schulen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um hier rechtssicher agieren zu können. Dies ist tatsächlich möglich (Stichwort: komplette Deaktivierung der Telemetrie!), erfordert aber ein hohes technisches Verständnis und ist mit Einschränkungen in der Funktionalität verbunden, die im Alltag tatsächlich schmerzen!

Unangepasst und adhoc verwendet stellt MS Teams ein Risiko dar, das zurecht von einigen nicht nur kritisiert, sondern als systemkritisch eingeschätzt wird.

In diesem Fall können beide Alternativen tatsächlich als solche angesehen werden. Abraten würde ich von keiner! Sie sind alle einsetzbar und erfüllen die Grundanforderungen.

Ein letztes Wort zu den Kosten: Bei Jitsi sehe ich hier die größten Vorteile. Dieses Tool lässt sich nahezu überall Winking smile installieren und auch warten.

BBB ist diesbezüglich eine ganz andere Nummer: Der Server muss über mindestens 4 Kerne verfügen und kann dann keinesfalls eine ganze Schule versorgen. Bei einer Schule mittlerer Größe (ca 600 SuS) fallen monatlich bei einem Hoster in jedem Fall dreistellige Beträge an – ein Wahnsinn, wenn man den Haushalt einer normalen Schule kennt. Hier bewegt man sich auf dem Niveau der BigPlayer Zoom und WebEx.

MS Teams ist kostentechnisch erneut eine andere Liga: Das gesamte M/O365 kostet im Normalfall nicht mehr als ein gehosteter BBB-Server. Aber im Hinterkopf sollte man stets die alte Internet-Weisheit behalten:

Ist eine Software kostenlos, bist du möglicherweise das Produkt! Winking smile

Ich hoffe, dieser viel zu lange Artikel hilft dem einen oder anderen und bereits jetzt ein dickes SORRY an den @derLinkshaender für ein #TLDR Winking smile

Um die Transparenz zu gewährleisten: Wir setzen im Moment voll auf Teams und haben die Datenschutz.Probleme in der Schulfamlie im absoluten Konsens rechtlich wie technisch für uns gelöst.