Digitale Bildung–was ist das eigentlich?

Von | 30. März 2017

Die Fragestellung im Titel ist genau jene, von der ich glaube, dass keiner tatsächlich in der Lage ist, diese eindeutig und umfassend zu beantworten – ich, der ich vom technischen Bereich komme, schon gleich gar nicht. Aber dennoch ist es genau diese Frage, die mich umtreibt – unter anderem dazu, diese Zeilen zu schreiben. Im Folgenden möchte ich mich an einer Bestandsaufnahme versuchen, die zwar bei Weitem keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, von der ich mir aber wieder etwas mehr “psychische Hygiene” verspreche… Winking smile

Digitale Bildung – ich weiß es genau

Diese Sichtweise wird meiner Erfahrung nach häufig von Leuten vertreten, bei denen leider zu oft genau das Gegenteil der Fall ist. Dabei möchte ich wirklich niemanden zu nahe treten, aber dieser Standpunkt verdeutlicht in erster Linie und auf dramatische Weise für den Betroffenen den Verstoß gegen ein uraltes Axiom aus der IT (und nicht nur daher!): “Wer glaubt, er kenne sich wirklich aus, hat nur zu wenig Informationen!”

Ganz häufig argumentiert ein Angehöriger dieser Gruppe auf der menschlich nur zu bekannten Basis “Das ist gut, weil ICH das mache”. Leider wird dabei manches Mal die Reflexion vergessen. Man könnte es auch ein Defizit an Demut oder – ganz böse – mangelnden Respekt dem anderen gegenüber nennen. Was zunächst sehr allgemein ein zwischenmenschliches Problem darstellt, mit dem wir alle zu kämpfen haben (und dabei zu allererst vor der eigenen Haustür zu kehren beginnen sollten!), entpuppt sich in der Diskussion um “Digitale Bildung” als besonders diffizil: Mit relativ wenig Wissen und ein paar gut platzierten Fach-Termini ist man innerhalb kürzester Zeit in der Lage, einen “Normalo” zu flashen und dazu zu bringen, sich als “Minderbemittelter” zu fühlen.

Ein Beispiel (leider real erlebt im Lehrerzimmer): “Kannst du mir zeigen, wie ich das Kahoot auf meinem Smartphone machen kann?” “Lass mal sehen! Auf diesem Teil läuft das nicht! Das hab ich schon bei einem Schüler probiert, der das gleiche Modell hatte!” (Anmerkung: Der fragende Kollege hatte ein Amazon FirePhone, auf dem man natürlich ohne jede Einschränkung Kahoot verwenden konnte)

Das Problem, das mich bei dieser Art von Experte so stört, ist die langfristige Wirkung, die dieses Verhalten verursacht: Der um Auskunft bittende Kollege wird nicht selten davon absehen, eine zweite Meinung einzuholen und so ein Tool, das durchaus seinen Unterricht bereichern könnte, nicht mehr so schnell einsetzen.

Man stelle sich jetzt noch vor, ein derartig strukturierter “Experten-Kollege” ist in der Lehrerfortbildung tätig…. und schon sind wir bei einem ersten ganz großen Problem, das sich nicht nur, aber eben besonders stark auch im Bereich der “Digitalen Bildung” zeigt.

Digitale Bildung – braucht kein Mensch

Die Einstellung “Das haben wir schon immer so gemacht und war noch nie anders” wird häufig uns Niederbayern zugeschrieben und tatsächlich trifft man diese “Argumentationstechnik” wiederholt in unseren Breitengraden an. Der Autor dieser Zeilen nimmt sich ausdrücklich nicht aus Winking smile

Besondere Innovationsbereitschaft kommt bei einer solchen Aussage sicher nicht zum Ausdruck. Und genau eine solche spricht man einem Teil des Lehrkörpers nicht selten ab. Dass Pauschalisierungen dabei niemandem helfen, soll dabei nur am Rande eine Rolle spielen. Interessanter ist, wie sich KollegInnen mit dieser Einstellung bei “digitalen Themen” verhalten: Man blockt ab, fragt nach Langzeiterfahrungen, Prüfungsergebnissen oder beklagt technische Rahmenbedingungen. Dabei ist so manches echte Motiv nicht nur menschlich nachvollziehbar, sondern zu verständlich. Eine neue Unterrichtsmethode an sich zu verwenden, bedeutet für jeden Pädagogen eine Herausforderung (die eben auch schief gehen kann). Eine neue Unterrichtsmethode mit neuem Werkzeug, das die die SchülerInnen möglicherweise besser beherrschen als man selbst, darf getrost als pädagogisches Hasardspiel bezeichnet werden.

Aber andererseits muss klar sein, dass sich Unterricht weiterentwickeln, dass sich das pädagogische Portfolio weiterentwickeln muss. Andernfalls ergeht es unseren Schülern wie mir, der 1992 von einem Erdkunde-Lehrer noch eine Deutschlandkarte mit eingezeichneter DDR auf Matrize erhalten hat – obwohl das Beispiel nicht wirklich passt, da es hier weniger um Inhalte, als um Methoden gehen soll … Winking smile

Kollegen, die so denken, sind eine Herausforderung für jede Fortbildung – und das ist bitte nicht negativ zu verstehen! Vielmehr bedarf es Experten, die fachlich wie menschlich überzeugend sind, dabei persönliche Eitelkeiten überwinden und empathisch wirken können.

Digitale Bildung – wer kann das überhaupt?

Wenn man nicht bereits bei der Definition scheitert und sich stattdessen wagemutig in das digitale Vielerlei stürzt, findet man zum Glück sehr schnell Hilfe: Social Media und diverse Online-Angebote wie Foren oder Youtube liefern rasch erste Ergebnisse und motivieren nicht nur Early Adopters. Aber nur weil jemand zwei Apps mit dem Präfix Edu starten kann, kann er noch lange keine “Digitale Bildung” – vor allem, wenn der Begriff gar nicht geklärt ist Winking smile

Aber im Ernst: Woran erkennt man einen echten Experten, dem man vertrauen, an dem man sich orientieren kann? Eine ähnliche Frage stellt sich übrigens auch in der Diskussion um den Begriff “Medienkompetenz”: “Wie bringt man SchülerInnen bei, mit einer gesunden Portion Skepsis im Web zu surfen und Informationen auf deren Substanz hin zu prüfen, bevor man sich darauf einlässt (Stichwort: FakeNews)?”

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es relativ einfach ist, echte Experten von oben beschriebenen “selbst ernannten Experten” zu unterscheiden: Leute, die tatsächlich über eine Expertise verfügen, sind stets selbstkritisch und meist frei von augenscheinlichem Narzismus. Sie agieren gerade nicht nach dem Motto “Es ist top, weil ICH es mache!”. Solche Leute haben meist auch nicht das Bedürfnis, auf Vorträgen zu Beginn ihre Verdienste und Errungenschaften (am besten in Form einer Präsentation Open-mouthed smile ) vorzuführen oder in Signaturen Meriten zu verankern. Ein letztes Merkmal, das mir bislang immer als Kriterium geholfen hat, ist ein gelebter Konstruktivismus (im Gegensatz zu einem Nihilismus). Solche User sind immer auf eine Perspektive bedacht und handeln lösungsorientiert, haben also kein Interesse, den anderen fernab der Sachebene zu diskreditieren.

Digitale Bildung – wo ist die Perspektive?

Fragt sich also: Wo soll das enden? Oder: was soll ich mit dem elaborierten Code hier anfangen? Die Frage nach der Perspektive habe ich mir schon häufig gestellt und bis heute noch keine befriedigende Antwort gefunden. Stattdessen möchte ich mich anhand einer Positiv- wie einer Negativ-Liste Schritt für Schritt an eine Lösung des Problems herantasten:

Digitale Bildung steht unter keinem guten Stern, weil …

  • die Strukturen (Regionale Lehrerfortbildungen, pädagogische Tage/Konferenzen, statische Arbeitskreise …) uns nicht die Flexibilität bieten, die notwendig wäre, um ein solch umfassendes Themenfeld sinnvoll zu behandeln. Oder wie es ein Kollege formuliert hat: “Wir antworten auf Fragen von 2020 mit Methoden von 1955!”
  • es im Aus-/Weiterbildungsbereich kein effektives Qualitätsmanagement gibt.
  • zu wenig Anreize für engagierte Kollegen geschaffen werden, um qualitativ hochwertige Maßnahmen zu entwickeln.
  • jeder Bildungs-Trump zu dem Thema als Experte zugelassen ist Winking smile
  • die Entscheidungsträger zu wenig Praxiserfahrung haben.
  • der Betroffene mit vielen Problemen (Datenschutz, Copyright …) gefühlt alleine gelassen wird.
  • man kaum Möglichkeiten hat, sich z.B. auf Messen persönlichen Input zu holen. Oder gibt es jemanden aus dem staatlichen Bereich, dem eine Dienstreise nach London oder San Diego finanziert wird? Winking smile
  • alles “nebenbei” zu passieren hat.
  • Anbieter von genialen Werkzeugen scheinbar keine Ahnung haben, welche Mittel einer öffentlichen Schule zur Verfügung stehen.
  • KollegInnen mit Expertenwissen einem Gewissenskonflikt unterliegen: “Soll ich noch eine (überregionale) Fortbildung anbieten und dabei noch mehr Unterrichtsausfall generieren, oder soll ich mich dem Unterricht widmen, der meinen Schüler zugute kommt, und so auf weitere Fortbildungsbeiträge verzichten (mit allen Konsequenzen)”.

Digitale Bildung wird gelingen, weil …

  • sehr viele LehrerInnen einfach für ihren Beruf brennen (auch wenn das sogar ein Alt-Bundeskanzler anders sieht! Sad smile )
  • Twitter und andere Kanäle die Trägheit des Systems überwinden helfen (Hallo an die Twitter-Community von #BayernEdu, #ICMchat, ….)
  • Digitalisierung schon längst fester Bestandteil unseres Lebens ist.
  • Schule trotz des Systems funktioniert. Zitat eines Kollegen: “Wenn eine Organisation schlecht organisiert ist, organisiert sie sich selbst.”
  • die Belegschaft leidensfähig ist Winking smile
  • unsere Schülerschaft uns zum Umdenken zwingt.
  • man darunter mehr versteht als eine plumpe App-Parade
  • das ganze einfach eine viel zu spannende Angelegenheit ist, als dass man die verpassen möchte.

 

Da ich trotz dieser – freilich unvollständigen – Auflistung noch immer keine finale Antwort auf die Frage “Was ist digitale Bildung!” geben kann, versuche ich es umgekehrt:

Digitale Bildung – Was man nicht darunter versteht…

  • Aktionismus Marke “Dann füllen wir halt eine PDF-Datei auf dem Tablet aus”
  • Eine Spielwiese für Selbstdarsteller und Neurotiker
  • Nerd-Exzesse Marke “Wir machen keine Hausaufgabe. Wir bilden stattdessen Prozesse ab!”
  • Das Lösen von Problemen, die wir ohne Digitalisierung nicht hätten
  • CloudComputing ohne Bandbreite
  • DataMining
  • Den gläsernen Schüler
  • Alibi-App-Einsatz ohne Plan
  • Einzelkämpfertum
  • Eine Von-Oben-nach-Unten-Bewegung
  • zweifelhafte Bindungen an Firmen und deren Geschäfte (Wir sind zur Produktneutralität verpflichtet!)

Digitale Bildung – und der Begriff “Mehrwert”

“Welchen Mehrwert bietet Digitale Bildung?” Diese Frage ist wahrscheinlich so alt wie der Begriff selbst. Ich mache selbst immer wieder den “Fehler”, diesen Begriff zu verwenden – nicht zuletzt: Weil ich überzeugt bin, dass eine solche Bildung “mehr wert” ist, als eine, die die Digitalisierung ignoriert. Einen entscheidenden Beitrag zur meiner persönlichen Klärung der Problematik um den Begriff Mehrwert liefert ein Beitrag von Gerhard Brandhofer, der aktuell getwittert wurde (Danke dafür @petersittler !):

Zur Problematik des Begriffes #Mehrwert

Uneingeschränkt zu empfehlen!

 

Zum Schluss …

Abschließend möchte ich mich bei allen bedanken, die sich dem Thema widmen und die Community am Leben erhalten. Ich bin Leuten dankbar, die idealistisch und ethusiastisch die Entwicklung vorantreiben, Einblicke in Erfahrungen geben und dabei ein Ziel verfolgen: Unseren SchülerInnen einen möglichst optimalen Unterricht zu bieten, um ihnen so viele Chancen wie möglich einzuräumen.

Ich sage Danke an die Kollegen von #BayernEdu wie @woe_real, @herrmayr, @flippedmathe,@dieottcasts,  @andioswald79, @lacknere (Danke für die genialen Ausführungen im Blogspot), @fstipberger, @fnigl1166, @schlichtedu, @josef_buchner und alle, die ich leider vergessen hab zu erwähnen….